Leseprobe Immer nur du
Kapitel 1
Riley genoss die gemeinsamen Abendessen mit ihren Kollegen, wann immer sie auf Geschäftsreise in New York war, sehr. Ihre amerikanischen Kollegen waren lockerer und entspannter als ihre britischen, und Riley hatte immer sehr viel Spaß, wenn sie nach getaner Arbeit in geselliger Runde beisammensaßen.
Durch ihre Arbeit als Projektmanagerin bei einer Unternehmensberatung musste sie alle paar Wochen in den Flieger steigen und von ihrem Büro in London zu der Zweigstelle in New York reisen. Das Unternehmen, für das Riley arbeitete, hatte in letzter Zeit einige Umstrukturierungen vorgenommen, sodass Riley ein ganz neues, frisches Team an die Seite gestellt bekommen hatte, was ihre Anwesenheit in der amerikanischen Metropole zurzeit häufiger verlangte.
So oft, wie sie im letzten halben Jahr hergeflogen war, hätte sie sich direkt eine eigene Wohnung in New York suchen und komplett von der Zweigstelle aus arbeiten können. Aber davon wollte ihr Chef und Firmengründer Adam McAfferty nichts hören. Er sagte ihr jedes Mal, wenn sie das Thema ansprach, dass er sie in ihrer Zentrale in London viel dringender benötigte. Als seine wichtigste Projektmanagerin war sie schließlich die Schnittstelle zwischen ihren Kollegen und den Klienten von McAfferty’s. Und ihre Kunden waren überwiegend traditionelle vermögende Engländer, denen persönlicher Kontakt mit ihrem Ansprechpartner noch wichtig waren. Einige hatten sogar gedroht, sich sofort jemanden anderen zu suchen, sollte Riley auf die wahnwitzige Idee kommen, ihre Termine über Zoom abzuhalten. Als Projektmanagerin war sie dafür zuständig, ihren Kunden die ausgearbeiteten Handlungsempfehlungen für ihre Unternehmen vorzustellen und zu erläutern und sie bei der Implementierung dieser Strategien zu unterstützen. Sie wollten persönlich mit Riley sprechen können, wenn sie den Erfolg ihrer Firmen schon in die Hände von McAfferty’s legten.
Und dann war da natürlich noch ihr Freund Lucas, den sie bei all der Fliegerei nicht vergessen durfte und mit dem sie erst vor ein paar Monaten zusammengezogen war. Nun ja, sie war zu ihm in sein luxuriöses Penthouse mit Blick auf die Themse gezogen. Seine Eltern hatten ihm die 200 qm große topmoderne Loftwohnung zum Uni-Abschluss geschenkt.
Aber nun durfte Riley erst einmal wieder ein paar Tage in New York verbringen. Um das meiste aus ihrem Aufenthalt in dieser so mitreißenden pulsierenden Metropole herauszuholen, versuchte sie immer ein paar Tage eher anzureisen und frühestens am Sonntagabend, nachdem alles Geschäftliche erledigt war, abzureisen. Die extra Tage rechtfertigte sie Adam gegenüber mit Jetlag und Vorbereitungszeit, was dieser nur allzu bereitwillig in Kauf nahm, solange Riley am darauffolgenden Montag wieder schön brav bei ihm im Londoner Büro auftauchte.
Riley liebte New York einfach. Sie sog jedes Mal die Atmosphäre mit allem, was sie besaß, auf, sobald ihre Füße amerikanischen Boden betraten. Die Abschiede fielen ihr zum Glück einfach, da es nie lange dauerte, bis sie wieder herkam. Und London hatte natürlich auch seine Reize. Es war immerhin ihre Heimat. Aber wenn sie vor die Wahl gestellt werden würde, würde sie immer New York vorziehen.
Mit einem Kopfschütteln befreite sich Riley aus ihren Gedanken und versuchte sich wieder in die Gespräche ihrer Kolleginnen und Kollegen um sie herum einzuklinken. Sie waren nach getaner Arbeit in das italienische Restaurant gegangen, was bei keinem ihrer Besuche auf der anderen Seite des Atlantiks fehlen durfte. Sie liebte die heimelige, entspannte Atmosphäre in dem kleinen Lokal um die Ecke so sehr. Das Essen war immer fantastisch. Es gab zwar eine Karte, aber die Eigentümerin und Chefköchin des Etablissements, Francesca, hatte immer ihre eigene persönliche Empfehlung parat, was die Gruppe bestehend aus Riley und ihren Kollegen an diesem Abend essen sollte. Es lag ihnen allen fern, sich in die Entscheidung der resoluten Italienerin einzumischen, da sie sich sicher sein konnten, dass es ihnen immer schmecken würde, egal was sie ihnen vorsetzte.
Riley ließ ihren Blick über den Tisch und ihr Team schweifen. Sie hatten gerade den Hauptgang beendet und warteten nun auf das Dessert mit dem obligatorischen Espresso dazu. Was genau es heute gab, wussten sie nicht, aber dass es köstlich sein würde und sie nach Nachschlag verlangen würden, stand jetzt schon außer Frage.
Die Stimmung am Tisch war ausgelassen und Riley ließ in Gedanken versunken ihren Blick über die Runde schweifen, als er an Jake hängen blieb, der ihr schräg gegenübersaß und sie aus seinen blauen Augen aufmerksam betrachtete. Als sich ihre Blicke trafen, zeichnete sich ein kleines Lächeln auf seinem Gesicht ab. Sein Blick und dieses unverkennbare Lächeln verursachten wie jedes Mal, wenn sie seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, sofort eine Gänsehaut auf ihrem gesamten Körper. Wie kleine Schmetterlinge begann es in ihrem Bauch zu flattern und ihr Herzschlag erhöhte sich. Nur Jake allein bescherte ihr mit einem einzigen Blick diese Reaktion. Kein Mann zuvor hatte es jemals geschafft. Unruhig rutschte Riley auf ihrem Stuhl hin und her. Sollte das bei ihrem Freund Lucas nicht auch so sein?
Riley schluckte, wischte den Gedanken an Lucas resolut beiseite und erwiderte das Lächeln in Jakes Richtung. Wie gern hätte sie neben ihm gesessen, seinen umwerfenden Duft nach frischer Meeresluft gepaart mit einer maskulinen Würze wahrgenommen und sich von seiner tiefen rauen Stimme einnehmen lassen. Leider hatten zwei ihrer Kolleginnen ihr einen Strich durch die Rechnung gemacht und sich direkt neben sie an den großen runden Tisch, den sie jedes Mal für ihr gemeinsames Abendessen reservierten, gesetzt. Jake hatte sie daraufhin mit einem Achselzucken bemüht neutral angesehen, aber Riley wusste, dass er auch sehr gern neben ihr gesessen hätte.
Manchmal kam sie sich vor wie auf der High School, wenn sie über ihr Verhalten und ihre Gedanken ihrem so gutaussehenden Kollegen gegenüber genauer nachdachte. Aber sie wusste, dass die Anziehungskraft, die sie Jake gegenüber empfand, alles andere als einseitig war.
Sie kannten sich mittlerweile seit fast zehn Jahren. Er war bereits bei McAfferty’s in der New Yorker Zweigstelle angestellt gewesen, als sie nach ihrem Studium dazugestoßen war. Mittlerweile war er Adams rechte Hand geworden und hatte die Position des COOs eingenommen, während er die Leitung über das New Yorker Büro innehielt. Aus diesem Grund war er oft zu Besuch in der Londoner Zentrale und er und Riley hatten immer wieder miteinander zu tun.
Die Anziehungskraft zwischen ihnen entstand schleichend, aber da McAfferty’s sehr viel Wert auf ein angenehmes Klima und freundschaftlichen Umgang zwischen den Mitarbeitern legte und viele gemeinsame Events organisierte, hatten sie sich so näher kennengelernt, bis sie irgendwann nicht mehr nur Kollegen sondern auch gute Freunde geworden waren.
Der Grund, warum nie mehr daraus geworden war, war nicht etwa irgendeine alte und versnobte Firmenpolitik, die persönliche Beziehungen zwischen Mitarbeitern verbot. Im Gegenteil, der alte Adam legte sehr viel Wert auf die zwischenmenschlichen Beziehungen seiner Mitarbeiter und wenn es dabei zu mehr als einem traditionellen Arbeitsverhältnis kam, hatte er nichts dagegen, solange die Arbeit nicht darunter litt.
Aber Riley und Jake hatten sich nie offen ihre Gefühle füreinander eingestanden, da einer von ihnen immer in einer Beziehung war. Als sie sich kennengelernt hatten, war Riley zwar Single, doch Jake war mit seiner Collegeliebe verheiratet und hatte bereits zwei Kinder. Mittlerweile war er geschieden, was absolut überraschend für Riley kam – zumal er ihr es auch nicht persönlich erzählt hatte und sie nur über drei Ecken von irgendwelchen Kollegen davon erfahren hatte, was sie ihm immer noch krumm nahm, da es sie tatsächlich ziemlich verletzt hatte, dass ihm ihre Freundschaft offensichtlich nicht so viel bedeutete wie ihr. Zu dem Zeitpunkt war Riley allerdings bereits mit Lucas liiert.
Riley war so in ihre Gedanken vertieft, dass sie regelrecht hochschreckte, als sie die Hand ihrer Kollegin Lisa, die links neben ihr saß, vor ihren Augen bemerkte. Sie blickte in Lisas Richtung, die sie mit einem erwartungsvollen Blick und einem belustigten Grinsen ansah. Offensichtlich hatte sie Riley eine Frage gestellt, die Riley jedoch nicht mitbekommen hatte. »Entschuldige, Lisa. Was hast du gesagt?«, fragte sie ihre Teamkollegin mit einem entschuldigenden Lächeln.
Lisa schien es nichts auszumachen, ihre Frage wiederholen zu müssen. »Ich wollte von dir wissen, ob du auch so gespannt bist, was Francesca sich heute für einen besonderen Nachtisch für uns überlegt hat. Man sollte meinen, so oft, wie wir bereits hier waren, sollte ihr Fundus für Desserts erschöpft sein, aber sie tischt uns doch immer wieder eine neue Kreation auf. So oder so wird es lecker schmecken, dass ich mal wieder zu viel davon essen werde«, fügte sie mit einem selbstironischen Grinsen hinzu.
Riley war nach ihren Gedankengängen, die eindeutig zu viel von dem Mann ihr schräg gegenüber beinhalteten und zu wenig von ihrem Freund, der auf der anderen Seite des Atlantiks auf ihre Rückkehr wartete, so abgelenkt, dass ihr nicht mehr der Sinn nach Nachtisch stand. Aber da musste sie wohl oder übel durch, auch wenn sie jetzt nichts lieber getan hätte, als sich auf ihr Hotelzimmer zu begeben, um mit ihren Gedanken und Träumereien allein zu sein. Wenn sie sich jetzt verabschieden würde, ohne von dem erstklassigen Nachtisch auch nur probiert zu haben, den Francesca ihnen gleich servieren würde, würde das nur unnötig für Aufruhr unter ihren Kollegen sorgen. Das wollte sie um jeden Preis vermeiden.
Also lächelte sie Lisa erwartungsfroh an, so hoffte sie zumindest, und antwortete ihr: »Ich hoffe auf ihre Cannoli, die sind einfach unvergleichlich. Aber egal, was es sein wird, es wird definitiv unfassbar gut sein.«
In diesem Moment kam die rüstige Italienerin auch schon auf sie zu, beladen mit zwei großen Platten, auf denen sich allerlei kleine Schälchen befanden. Im Schlepptau hatte sie einen jungen Angestellten, der ebenso wie sie beladen war.
Wie erwartet, war der Nachtisch – eine Auswahl aus Francescas besten Kreationen – fantastisch gewesen. Da Riley für heute allerdings genug an zwischenmenschlichen Interaktionen hatte und sie sich einfach nur noch nach etwas Ruhe und Zeit allein auf ihrem Hotelzimmer sehnte, brach sie direkt im Anschluss daran auf. Augenblicklich entstand eine Diskussion darüber, dass Riley allein im Dunkeln zu ihrem Hotel zu dieser Uhrzeit gehen wollte. Lisa wollte sie dazu überreden, sich mit ihr ein Uber zu teilen, aber da diese gerade noch einen Cappuccino bestellt hatte, lehnte Riley dankend ab. Bis zu ihrem Hotel waren es nur ein paar Blocks und Riley freute sich darauf, noch ein wenig frische Luft schnappen zu können in der Hoffnung, den Kopf freizubekommen. Also verabschiedete sie sich von der Runde und wünschte allen noch einen schönen Abend.
Erst als sie an der Tür vom Restaurant angekommen war, bemerkte sie, dass Jake ihr gefolgt war. Er eilte an ihr vorbei, während sie gerade die Hand in Richtung Türgriff ausstrecken wollte, und hielt ihr mit seinem unverkennbaren Lächeln galant die Tür auf. Sie sah zu ihm auf und wollte sich gerade bei ihm für die Geste bedanken, als er sich zu ihr hinunterbeugte und ihr einen leichten Kuss auf die Wange gab. Riley blickte sich um, aber der Tisch, an dem die anderen noch saßen, war hinter einer Ecke verborgen. Also hatte auch keiner ihrer Kolleginnen und Kollegen diese intime Geste, so unschuldig sie auch war, gesehen.
»Schön, dass du heute da warst«, sprach er anschließend mit seiner tiefen rauchigen Stimme, die Riley jedes Mal eine Gänsehaut verursachte, wenn sie in deren Genuss kam. Jake schien davon zum Glück nichts zu merken. »Meldest du dich, wenn du im Hotel angekommen bist?«, fragte er sie noch, als Riley bereits mit einem Fuß aus dem Restaurant getreten war.
Sie blickte sich noch einmal kurz zu ihm um. »Das mache ich.«
Mit einem letzten Nicken in ihre Richtung schritt Jake von der Eingangstür zurück und ließ sie zufallen. Riley drehte sich um und machte sich in der klaren kühlen Nachtluft auf den Weg zurück zu ihrem Hotel.
Nach ein paar Minuten griff sie nach ihrem Handy, um Lucas eine Nachricht zu schicken. Sie hatte erst wenige Worte getippt, da spürte sie plötzlich, wie sie grob zur Seite gestoßen wurde. Sie wollte gerade aufschreien, als ihr jemand eine Hand auf Mund und Nase drückte. Panisch versuchte sie, sich zu befreien und gleichzeitig Luft zu holen, aber die Hand bewegte sich kein Stück. Im nächsten Moment wurde sie von der Straße weg in eine dunkle Gasse gezerrt und zu Boden geschleudert. Sie wusste nicht, wie ihr geschah, als ihr gleichzeitig jemand die Tasche von der Schulter riss, an die sie sich panisch klammerte, so dass ihr Arm höllisch schmerzte, und jemand begann, auf sie einzutreten. Völlig verzweifelt versuchte sie sich auf den Bauch zu drehen, um den schlimmsten Schmerzen irgendwie zu entgehen. Desorientiert fragte sie sich, was hier gerade vor sich ging und sie betete, dass es bald vorbei sein würde.
Plötzlich traf sie etwas Hartes am Kopf. Im nächsten Augenblick nahm die Dunkelheit sie gefangen.
Jennas Kaffeekasse
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