Ein Happy Bean für Hattie - Kapitel 1
Kein Morgen wie jeder andere
Mit den Ellenbogen stützte ich mich auf die Theke und sah mich im Happy Bean um. Während mein Herz aufgeregt in meiner Brust hüpfte, konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Das Bimmeln der Eingangstür und das Zischen der surrenden Kaffeemaschine waren mein tägliches Mantra und aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken.
Und bald würde das alles mir gehören.
Nur mit Mühe konnte ich das aufgeregte Quietschen, das sich aus meinem Mund stehlen wollte, unterdrücken.
Oaks Harbor befand sich noch in den frühen Morgenstunden und bald würden die ersten Stammkunden eintrudeln. Ich kannte sie alle: Mr. Thompson mit seinem schwarzen Kaffee und der Tageszeitung, die quirligen Seniors von der Highschool, die auf dem Weg zur Schule ihren Koffein-Kick holten, und die Rentnergruppe um Mrs. Jefferson aus dem Sunny Oaks, die jeden Donnerstag zum Klatsch und Tratsch auf Kaffee und Karottenkuchen zusammenkamen.
Und nicht zu vergessen Oaks Harbors sympathischstes Paar, Suzie und Liam, die sich jeden Morgen ohne Ausnahme ihre beiden Matcha Latte bei mir holten. Ihre turbulente Liebesgeschichte hatte ausgerechnet bei mir im Happy Bean ihren Anfang gefunden ...
Ein dankbares Seufzen entwich mir.
Ich hatte große Träume. Seit ich vor fünf Jahren im Happy Bean zu arbeiten begonnen hatte, wusste ich, dass ich das Geschäft irgendwann einmal selbst übernehmen wollte. Das war der Plan gewesen und daran hatte ich mich auch gehalten.
Und nun, nach all den Jahren harter Arbeit und das Sparens, stand dieser Traum kurz vor der Verwirklichung. Mr. Grant, der aktuelle Besitzer – noch! –, hatte mein Angebot, das Happy Bean zu übernehmen, angenommen.
Alles, was jetzt noch fehlte, war die Unterschrift auf dem Kaufvertrag. Der Termin war für heute Nachmittag angesetzt.
Ergo das klopfende Herzen in meiner Brust, was sich selbst nicht beruhigte, wenn ich meine Hand darauf presste und tief durchatmete. Oder das Dauergrinsen in meinem Gesicht, das einfach nicht verschwinden wollte.
Egal. Das hier war mein Tag. Da durfte ich dümmlich vor mich hinstieren und mich freuen, soviel ich wollte. Sollten die Leute doch denken, was sie wollten.
Während ich die Szene vor mir mit all meinen Sinnen aufzunehmen versuchte und kaum glauben konnte, dass das alles bald mir gehören würde, betrat ein neuer Kunde das Geschäft. Ein Unbekannter, was jetzt in den letzten Zügen des Winters ungewöhnlich war, da sich um diese Zeit nur selten Touristen nach Oaks Harbor verirrten.
Aufmerksam ließ ich den Blick über ihn gleiten. Er war nicht gerade groß, wobei ich mit meinen einen Meter fünfundfünfzig dafür nicht als Maßstab galt. Sein kantiges Gesicht umrahmten dunkle Locken und seinen Mund zierte ein leichtes Lächeln.
Kurz brachte mich sein Anblick mit den tiefgründig wirkenden braunen Augen aus dem Konzept. Nur schwer konnte ich mich von ihm lösen, als er sich einen Weg durch das Happy Bean zur Theke und damit unweigerlich zu mir bahnte.
»Guten Morgen.«
Die samtige Stimme schien mir sofort durch Mark und Bein zu gehen. Ich musste schlucken, um mich auf seine nächsten Worte konzentrieren zu können.
Reiß dich zusammen, Hattie, sprach ich mir still zu. Ich hatte keine Ahnung, was mit mir los war. So hatte ich noch nie zuvor auf einen Kunden reagiert.
»Ich hätte gerne einen Flat White«, erklang seine freundliche Bestellung.
»Natürlich.« Bevor ich weitersprach und damit meinen ersten Eindruck als minderbemittelte Durchgeknallte festigte, räusperte ich mich und hoffte so, das unnatürlich hohe Piepsen meiner Stimme unterdrücken zu können. »Kommt sofort.« Na bitte, das klang schon besser, wenn auch deutlich weniger professionell als sonst.
Während ich den Kaffee zubereitete, warf ich immer wieder verstohlene Blicke über meine Schulter auf den Unbekannten. Zum Glück hatte er sein Handy hervorgeholt und tippte darauf herum. So blieb mein Auskundschaften unbemerkt.
Wenigstens etwas.
Als ich den Becher vor ihm abstellte, hatte ich mich wieder so weit unter Kontrolle, dass ich mich traute, den Mund zu öffnen.
»Was treibt dich nach Oaks Harbor?«
Bemüht unbeteiligt griff ich nach dem Stapel mit den Deckeln, suchte den passenden heraus und legte ihn neben den To-go-Becher.
»Ich bin gerade hierhergezogen.«
Wieder traf mich seine tiefe, samtige Stimme, die sich wie purer Honig über mir zu ergießen schien, völlig unvorbereitet. Konnte man eigentlich allein durch auditive Stimulation einen Orgasmus bekommen? Ich frage für eine Freundin.
»Oh?«
Sehr eloquent, Hattie, schimpfte ich mich aus.
»Ich bin Fotograf und arbeite für den Tourismusverband Michigan.«
»Cool.«
Langsam übertrieb ich es aber mit meinen einsilbigen Antworten. Schnell dachte ich nach.
»Das heißt, du wirst in nächster Zeit Oaks Harbor und die Umgebung auskundschaften und nach Motiven für den Tourismusverband suchen?«
»Ja, aber nicht nur. Die Stelle beim Tourismusverband ist eine Teilzeitstelle. Ich arbeite auch als selbstständiger Fotograf.«
»Nun, Herr Fotograf, herzlich willkommen in unserem kleinen Städtchen. Ich hoffe, du lebst dich hier schnell ein.«
Mit einem Lachen bedankte er sich und wollte im nächsten Moment nach seiner Brieftasche greifen. Mit einer Hand winkte ich ab.
»Der geht heute aufs Haus. Ein kleines Begrüßungsgeschenk für Oaks Harbors neuesten Einwohner.«
»Vielen Dank!« Mit einem Funkeln in den Augen streckte er die Hand über den Tresen in meine Richtung aus. »Und du kannst mich Sam nennen. Herr Fotograf klingt doch etwas förmlich, jetzt wo wir quasi Nachbarn sind ... Hattie«, erklang es nach einer kurzen, prägnanten Pause, in der sein Blick etwas zu lang auf dem Namensschild weilte, das über meiner Brust an meiner Barista-Uniform angebracht war, bevor sich seine tiefgründigen Augen wieder auf meine richteten.
Mit einem Kloß im Hals erwiderte ich sein Händeschütteln und fragte mich insgeheim, ob Sam zukünftig das Happy Bean öfter aufsuchen würde.
Fortsetzung folgt ...
Jennas Kaffeekasse
Wenn ihr das Bedürfnis habt, euch für meine Arbeit bedanken zu wollen, ladet mich gerne auf einen Kaffee ein. Ich danke euch!